Der Camino nähert sich dem Ende und wir geben Gas. Wo wir in den ersten Wochen noch etwa sieben Stunden für 30 Kilometer gebraucht haben, sind es jetzt nur noch sechs.
Der Grund hierfür ist einerseits, dass wir schneller geworden sind und mittlerweile rund einen Kilometer mehr in der Stunde gehen, als noch am Anfang des Weges. Andererseits machen wir aber auch weniger Pausen, als früher. Meistens setzen wir uns nur einmal zum Mittagessen hin, was dann etwa eine halbe Stunde dauert. Die restliche Zeit sind wir unterwegs.
Und trotzdem können wir jeden Tag nicht schnell genug in unseren Unterkünften ankommen, da sich die Zeit auf dem Weg endlos zieht. Eigentlich hatten wir gedacht, dass die letzten Tage besser werden würden, wenn das Ende absehbar ist, dies ist aber nicht der Fall.
Letztlich ertragen wir die Tage, die uns noch bleiben und werden uns hoffnungslos betrinken, sobald wir in Santiago angekommen sind…
Inhalt
Etappe 26: Padornelo bis Sarria
30,59 km, 279 m, 1.186 m, 06:08 Std.Die Nacht schliefen wir beide nicht besonders gut und machten am Morgen eine – überraschenderweise nicht positive – Entdeckung. Unser Zimmer war nicht nur schweinekalt, sondern auch feucht. Dies äußerte sich insofern, als dass die gestern gewaschenen Klamotten noch immer nass und zusätzlich auch unsere Schuhe und Socken feucht waren. Yay!
Da das hier angebotene Frühstück nur aus Toast und Kaffee bestand, machten wir uns mal wieder ohne Essen auf den Weg. Dabei machte Yasmin, die nun wirklich keine Lust mehr hat, Tempo, so dass wir bereits nach zwei Stunden die 12 Kilometer bis nach Triacastela hinter uns gebracht hatten.
Der Weg dahin war zur Abwechslung ganz nett, da wir nach ungefähr drei Kilometern nicht mehr an, auf, neben oder in Sichtweite einer Straße gingen sondern fast auf einer Art Wanderweg den Berg hinab. Dabei wurde das Hügelpanorama von Morgennebel aufgehübscht.
In Triacastela machten wir eine kurze Pause für ein – eher trockenes – Bocadillo und Kaffee, dann gingen wir weiter.
Hinter dem Dorf muss sich dann jeder Pilger entscheiden, ob er die längere, dafür aber flachere Route über Samos oder die kürzere, aber hügeligere Route über San Xil nimmt, um nach Sarria zu gelangen.
Wir entschieden uns für die sieben Kilometer kürzere Route, da unsere Motivation, mehr Zeit als notwendig auf dem Camino zu blieben, gering war. Die Route führte uns zunächst durch eine bewaldetes Tal und ein kleines Dörfchen, um dann merklich steiler zu werden, bis wir nach fast vier Kilometern in San Xil ankamen.
Hier gab es nichts und das verlassene Dorf scheint nur noch der Routenalternative ihren Namen zu geben. Wir pilgerten weiter und erreichten bald einen Abschnitt, von dem wir eine schöne Aussicht auf die Umgebung hatten.
Nach einem kurzen Stück durch einen Wald kam dann der Abstieg, der bemerkenswert steil war. Zwar hatten wir damit weniger Probleme, als die vielen Mitpilger, die wir überholten, jedoch verschlechterte sich unsere Durchschnittsgeschwindigkeit merklich 😉
Im Anschluss blieb die Landschaft ansehnlich und leicht hügelig, dafür nahm aber auch die Viehwirtschaft zu. Damit einher gingen einerseits der typische Landgeruch meiner Kindheit und andererseits viele dünnschissartige Hinterlassenschaften auf dem Weg, an denen sich unzählige Fliegen genüsslich taten.
Nach etwa fünfeinhalb Stunden hatten wir Sarria erreicht, wo unsere Etappe enden sollte. Hier sahen wir auch mal wieder einen der vielen Störchen, die hier zu dieser Jahreszeit überall brüten. Nachdem ich in Deutschland noch fast nie Störche habe sehen können, finde ich die großen Vögel hier umso faszinierender.
Nach nur sechs Stunden für die über 30 Kilometer lange Strecke erreichten wir unsere Herberge. Die freundliche Wirtin führte uns in unser Zimmer, wo uns sofort auffiel, dass das Zimmer – wie eigentlich gedacht – kein privates Bad hatte, sondern sich ein Gemeinschaftsbad mit zwei anderen Zimmern teilte. Diese Tatsache hatte ich beim Buchen übersehen und sie beschädigte die Stimmung, wie der Eisberg ein bekanntes Kreuzfahrtschiff.
Nachdem sich die Wogen etwas geglättet hatten, gingen wir in ein Restaurant, das kurioserweise den ganzen Tag Essen servierte. Die Portionen waren großzügig und die Preise klein, eine Kombination, die wir sehr mögen, der wir in Spanien aber noch nicht häufig begegnet waren.
Anschließend besorgten wir uns Nachtisch, Frühstück und Mittagessen für morgen – sprich Donuts, Brot und Aufschnitt – und gingen etwas später ins Bett.
Etappe 27: Sarria bis Portomarín
21,98 km, 370 m, 407 m, 04:21 Std.Der gestrige Abend wurde nach Abschluss des Beitrages noch interessant, denn wir durften mehrfach anderen “Sozialisierungen” beiwohnen: Während wir immer direkt nach unserer Ankunft duschen, um den Caminodreck loszuwerden und ebenfalls unsere Wandersachen im Waschbecken katzenzuwaschen, scheinen das andere Pilger anders handzuhaben.
Zunächst wurden wir davon überrascht, wie zwei “Mitbewohner” nacheinander um 21.30 Uhr im Gemeinschaftsbad der Unterkunft duschten. Unser Zimmer lag direkt neben dem Bad, so dass wir selbst das Abstellen des Shampoos hautnah miterleben konnten. Wir waren ziemlich unzufrieden, da wir schon fast eingeschlafen und nun wieder wach waren.
Nun gut, es war noch nicht 22.00 Uhr, insofern konnte ich mit Not und viel gutem Willen nochmal ein Auge zudrücken. Wir schliefen also wieder ein…
Um 22.30 Uhr wurden wir jedoch wieder geweckt. Wieder rumpelte die Badezimmertüre und kurze Zeit später ging wieder die Dusche los! Eine ältere deutsche Dame war scheinbar der Meinung, dass dies eine gute Zeit wäre, um nun ebenfalls zu duschen.
Wir waren zunächst ungläubig und dann fassungslos, wütend und vieles mehr, was ich hier mit Blick auf den Jugendschutz nicht ausführen möchte.
Nachdem die Dame auch nach einer halben Stunden nicht aus dem Bad gekommen war, sondern darin weiter fröhlich Krach veranstaltete, klopften wir lautstark an die Tür und machten sie – recht unfreundlich – darauf aufmerksam, dass wir schlafen wollen. Fünf Minuten später hörten wir, wie sie heraus kam und auf ihr Zimmer ging.
Am nächsten Morgen würdigten wir sie und ihren Sohn – kindischer-, aber berechtigterweise – keines Blickes, was sie sicherlich zum Anlass nahmen, sich später über die unfreundlichen Zimmernachbarn zu beschweren.
Auf dem Weg waren wir erst gegen 08.30 Uhr, womit wir scheinbar einen beliebten Zeitpunkt erwischt hatten, denn zwei Straßen von unserer Herberge entfernt, lud ein Reisebus gerade einen riesigen Haufen wanderwillige Camino-Rentner aus.
Hier sollte ich erwähnen, dass der Camino ab Sarria (noch) viel stärker frequentiert wird, als auf den vorherigen Etappen, da kurz hinter dem Ort die letzten 100 Kilometer nach Santiago beginnen, die man mindestens pilgern muss, um die Compostela – die Pilgerurkunde – zu erhalten. Wir wurden bereits zuvor gewarnt, dass wir ab hier mit Disneyland-artigen Zuständen rechnen sollten.
So schlimm war es dann zwar nicht, aber der Weg war nun wieder so voll, wie damals in den Pyrenäen. Zu fast jedem Zeitpunkt hatten wir mindestens zehn bis zwanzig Pilger im Blick.
Landschaftlich wurde das landwirtschaftlich geprägte Hügelthema des letzten Tages konsequent weitergeführt. Im Vergleich zu den 600 Kilometern zuvor war dies aber auf jeden Fall eine Steigerung, aber dafür hätten wir auch an der Mosel entlang wandern können.
Der Camino selbst verlief heute etwas häufiger nicht auf geteerten Straßen, sondern auch ab und an auf Feldwegen. Andererseits spricht die Tatsache, dass ich dies als positiven Aspekt eines Wanderweges betrachte auch Bände…
Weil es insgesamt nicht viele Fotomotive gab, mussten heute mal wieder die Weidetiere dran glauben. Insbesondere Kühe gab es heute in rauen Mengen, was sich – wie auch schon gestern – erneut in einem prägnanten Geruch niederschlug. Aber irgendwie passte das auch zum Camino, denn wie Yasmin treffend feststellte: “Was scheiße ist, kann auch wie Scheiße stinken” 😀
Stimmungstechnisch waren wir also wieder beim Galgenhumor angelangt, was im Vergleich zu den letzten beiden Tagen eine deutliche Steigerung war. Vermutlich lag das daran, dass es nun wirklich nur noch wenige Tage bis zum Ende sind.
Heute gingen wir tatsächlich am 100 Kilometer-Marker vorbei, der sich im Dörfchen A Pena befindet. Nur noch 100 Kilometer, eigentlich ein Grund zum Feiern.
Nach etwas unter vier Stunden konnten wir Portomarín sehen, dass an einem netten Fluss lag. Nach einem steileren Abstieg überquerten wir eine Brücke, dann waren an unserem Etappenziel angelangt.
Leider konnten wir erst ab 14.00 Uhr einchecken, so dass wir noch rund eine Stunde im Außenbereich der Hotelbar herumlümmelten.
Beim Abendessen hatten wir wieder Glück, denn wir fanden erneut eine Bar, die bereits um 17.30 Uhr Essen servierte. Langsam werden wir gut darin!
Auf dem Rückweg zu unserem Zimmer sahen wir dann tatsächlich das Mutter-Sohn-Paar, dass uns gestern durch ihre Duschdarbietung den Abend versaut hatte, wieder, die – was noch schlimmer war – zur Rezeption unserer Unterkunft gingen.
Kurz scherzten wir noch, dass wir ja unglaublich mieses Karma haben müssten, wenn die beiden wieder neben uns schlafen würden, als sie dann allerdings tatsächlich in das Zimmer nebenan einzogen, lachten wir nicht mehr wirklich. Wir haben in einem früheren Leben irgendetwas wirklich richtig falsch gemacht 😉
Wenigstens hatten sich beide diesmal schon am frühen Abend geduscht, so dass wir auf der sicheren Seite währten. Aber schauen wir mal, was der Abend und die Nacht noch so bringt
Etappe 28: Portomarín bis Palas de Rei
25,90 km, 467 m, 303 m, 05:22 Std.Nach dem zur traurigen Gewohnheit gewordenen Türknallkonzert unserer vielen Nachbarn – Klinken? Wozu? – waren wir gestern fast eingeschlafen, als um etwa 22.30 Uhr aus dem Badezimmer nebenan ein lautes Krachen und Klirren ertönte.
Nachdem der Lärm mehrere Minuten anhielt, versuchte ich mich in einem Klassiker der Hotelkommunikation, ich schlug mehrfach stark gegen die Wand.
Dies hatte nicht den gewünschten Effekt, so dass Yasmin nach einer Minute ebenfalls gegen die Wand hämmert. Unsere Nachbarin fühlte sich scheinbar in ihrer Abendbeschäftigung gestört, denn nun zeterte sie lauthals, dass sie nur etwas abwaschen würde und das sie bald fertig sei.
Kurze Zeit später war es ruhig und wir konnten endlich einschlafen. Ab 04.40 Uhr wurde Yasmin dann jedoch auch schon wieder von den wurmffangenden Pilgern geweckt, die mal wieder zu einer Nachtwanderung aufbrachen und konnte aufgrund der anschließend beginnenden Aufbruchswelle – inklusive der obligatorisch knallenden Türen – danach nur noch episodenhaft weiterschlafen.
Ich konnte noch bis 06.30 Uhr weiterschlafen, dann wachte auch ich auf. Müde und gemächlich machten wir uns fertig und kamen zwei Stunden später los. Wir hatten keine Eile, denn die heutige Etappe war nur etwa 25 Kilometer lang und wir konnten erst gegen 14.00 Uhr in unser Zimmer einchecken.
Bei sehr dunklem Himmel gingen wir durch das wie ausgestorben wirkende Portomarín. Wie so häufig schon hatten wir den Eindruck, dass dies ein Ort ist, der ausschließlich durch den steten Pilgerstrom am Leben erhalten wird.
Wie die letzten Tage schon, bot der Weg keine Überraschungen. Es ging hoch, es ging runter, mal ging es rechts, dann wieder links, Camino pur!
Das spannendste Ereignis war, dass eigentlich kein Regen angesagt war, es dann aber zwischendurch doch ab und zu ein wenig stipperte, ein Krimi war das nicht gerade…
Da wir uns aus Langeweile und Frustration in den letzten Wochen ein sehr schnelles Gehtempo angewöhnt hatten, zogen wir an den Massen der anderen Pilger vorbei. Dabei wurden wir auch häufig angestarrt, wobei wir uns nicht die Zeit nahmen um herauszufinden, woran das lag. Wir vermuteten, dass entweder die klackernden Trekkingstöcke oder unsere wenig besinnlichen Geschwindigkeit die Schuld daran trägt.
Die Landschaft blieb heute ebenso unverändert, wie auch schon die Tage zuvor, so dass wir nur wenig Fotos machten und uns eigentlich nur der Hauptaufgabe des Tages widmeten, nämlich die Etappe in kürzester Zeit abzuschließen.
Unfreiwillig hören wir auch immer wieder Gesprächsfetzen, für dessen Tiefgründigkeit wohl die besinnliche Wirkung des Caminos ursächlich ist. Ein Beispiel dafür ist z.B.:
Spanier: Die Frau, die vor uns läuft kommt auch aus Taiwan.
Taiwanesin: Die da vorne? Nein, die kommt nicht aus Taiwan.
Spanier: Doch, doch, sie kommt aus Taiwan.
Taiwanesin: Nein.
Spanier: Doch, sie ist Taiwanesin.
Taiwanesin: Sicher?
Spanier: Ja!
Taiwanesin: Ach so, na dann …
(kurze Pause)
Taiwanesin: Warte, nein, sie ist keine Taiwanesin!
Spanier: Doch, ich glaube schon.
Taiwanesin: Nein, das ist sie nicht!
Spanier: Wirklich?
Taiwanesin: Ja.
Spanier: Okay, dann kommt sie wohl nicht aus Taiwan.
Das hätte auch direkt von Loriot kommen können…
Wie jeden Tag zog sich die letzte Stunde ewig und wir waren sehr froh, als wir endlich in unserem Hotelzimmer angelangt waren. Hier machten wir uns kurz frisch und telefonierten dann eiwg und wunderbar mit Micha und Annett, die mittlerweile in Malaysia angekommen waren.
Anschließend besorgten wir mir neue Blasenpflaster, denn die Blase, die ich mir vor etwa 170 Kilometer an meiner rechten Ferse eingehandelt hatte, hatte sich mittlerweile in ein riesiges, unförmiges Ding verwandelt…
Ich bin gespannt, wie sich die letzten 70 Kilometer damit laufen…
Dann fanden wir nach recht kurzer Suche tatsächlich wieder ein Restaurant, dass bereits um 17.30 Uhr Essen anbot, was wir dankend annahmen.
Anschließend holten wir uns noch einen Nachtisch und Frühstück und Mittagessen für Morgen im Supermarkt, dann verzogen wir uns wieder in unser Zimmer, wo wir den Abend ausklingen ließen.
Schreibe einen Kommentar